#37 und dann essen wir Fritten

Und dann essen wir Fritten. Mit Mayo.

Mamas „Ist Papa jetzt tot?“, unser Blick auf die jetzt vollends flache Linie auf dem Monitor, das stumme Nicken meines Bruders aus geröteten Augen ist da gerade drei Stunden her, unser „Über Sieben Brücken“ vielleicht vier, wie wir es gemeinsam summen.

Es ist dann schnell gegangen, sie haben die Atemhilfen ausgestellt, den Kreislaufstabilisator rausgenommen und dafür die Morphine rein. Reichlich Morphine. Bolus, Angstfreiheit, für ihn, für uns, für mich erst, als ich aufhöre, auf etwas zu warten. Oder auf ein Wegbleiben von etwas. 

Mein Bruder wollte den Monitor anhaben beim Sterben, der fachmännische Blick auf die Werte würde ihm gut tun, sagte er. Und dann war doch ich es, der sich erst klammerte, dann orientierte, dem es Ruhe gab, wie alles beständig weniger wurde. Wenn ich eines finalen Belegs der Endgültigkeit bedurft hätte, einer Legitimation für das freihändige Austrudeln, dann gab es sie hier:  Werte im harmonischen FadeOut, Kurven im sachten Sinkflug. Ein leiser werdendes Schnarren, verhallendes Piepen und mittendrin ein langsam marmorierender Apnoetaucher.

Das Kämpfen hat ein Ende. Es ist gut, dass es entschieden ist, dass er es war, der es so klar entschieden hat.

Der Tod kommt folgerichtig, akkurat. Und dann: Vollkommene Stille.

180 Minuten. Und jetzt schmeckt mir das so gut. Und ich schäme mich kurz, wie gut es mir tut, wie wir mampfen und maulen, wie hier Mayo schmiert und dort Currysoße auf dem Esstisch (ein Platz: bestecklos leer) einen Fleck macht, der fettig im Lampenlicht schimmert.

Wir sind erleichtert. Keiner traut es sich auszusprechen in diesem Moment, keiner muss dies tun. Stattdessen: Gefräßige, geteilte Albernheit, mir fällt eine Bierflasche auf die Fliesen im Flur, auf die Stelle, wo er bis vor 18 Tagen noch zweimal täglich stehenblieb, seinen besockten Fuß aus den Schluppen (sagt das sonst noch wer außer ihm?) hob und prüfend auf den Boden legte. Fußbodenheizungen lassen sich schlecht regulieren, es war ihm stets zu warm, lange Zeit schon war es ihm stets zu warm.

18 Tage, die erscheinen, als läge ein Retrofilter auf allem davor, ein Schleier auf allem dazwischen. Bis jetzt. Bis hier. Zu diesem klaren Moment. Es fühlt sich gut an, dass alles wieder eine Zeit bekommt, eine Form, es jetzt ein Jetzt gibt, mit Fritten, mit Mayo. Und dass all die „Weißt du noch?“s warten, innnehalten, sich bereit machen.

 „Willst du auch ein Bier?“ frage ich meinen Bruder.

„Nee, haste Cola?“. „Klar.“

 

Thomas (46), Münster 

herzblut floss intensiv, 18 Tage im Sommer 23. und davor und danach.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Petra (Donnerstag, 12 Oktober 2023 21:30)

    Lieber Thomas,
    ich möchte dir mein Beileid aussprechen, dass ihr diese "18 Tage" durchstehen musstet. Aus deiner Geschichte spricht der Kummer über diese dramatische Zeit; und die Erlösung durch das, was uns viel öfter aus der Bahn wirft. Euch hat es eher wieder Boden unter den Füßen gegeben. Der mutige Blick geht Richtung Zukunft, in der die gesamte Familie weiterhin eine Rolle spielen wird - jeder auf seine Weise, ob mit oder "ohne Besteck." Kein Grund, sich zu betrinken, er wach machen und wach halten für alles, was war und kommt.
    Herzliche Grüße!
    Petra